Jahrhundertelange Geschichte zwischen Dänisch und Deutsch
Südschleswig, der heutige Landesteil Schleswig, ist über viele Jahrhunderte hinweg Teil des dänischen Staates gewesen. Erst nachdem Preußen und Österreich im Krieg von 1864 das alte Herzogtum Schleswig einnahm, wurde die Region Teil des Königreichs Preußen und des Deutschen Kaiserreiches.
Insbesondere im nördlichen Teil Schleswigs gab es weiterhin eine überwiegend dänische Bevölkerung, die für ihr Recht auf die dänische Sprache und Kultur stritt und eine Wiedervereinigung mit Dänemark herbeisehnte.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1920 in der Region eine Volksabstimmung durchgeführt, bei der die Menschen zwischen Kolding, Flensburg und Eiderstedt entscheiden konnten, zu welchem Land sie gehören wollten. Während Nordschleswig sich für eine Rückkehr zu Dänemark entschied, stimmte die Mehrheit in Südschleswig für einen Verbleib in Deutschland.
In der Folge organisierte sich die dänische Bevölkerungsgruppe als dänische Minderheit mit eigenen Vereinen und Einrichtungen. So wurden bereits 1920 ein Hauptverband gegründet (SF, später SSF) und dänische Schulen eröffnet. Sie wurden dabei durch die Verfassung der Weimarer Republik begünstig, die für einen progressiven Minderheitenschutz stand.
Dies änderte sich, nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht in Deutschland übernommen hatten. Die Minderheit wurde zwar nicht verfolgt, aber für den Einzelnen konnte die Mitgliedschaft in einem dänischen Verein oder ein Kind in einer dänischen Schule durchaus zur Diskriminierung im Alltag führen, u.a. wenn es um die Beanspruchung öffentlicher Leistungen ging. Dass es nicht schlimmer kam, lag weniger an den Nationalsozialisten in der Region. Es lag vielmehr in der Tatsache begründet, dass Berlin ein gutes Verhältnis zu Kopenhagen wünschte und daher einen härteren Kurs vor Ort unterband.
Nach Kriegsausbruch 1939 wurden die jüngeren männlichen Mitglieder der dänischen Minderheit, wie alle anderen, zur Wehrmacht eingezogen und mussten am deutschen Angriffskrieg teilnehmen. Ein Teil der Daheimgebliebenen nahm aktiv am Widerstand in der Region teil und nutzten dabei Kontakte nach Dänemark.
Diese Erfahrungen als Bürgerinnen und Bürger in einer brutalen Diktatur prägt die Werte der dänischen Minderheit bis heute.
Großer Zulauf in den Nachkriegsjahren
Unmittelbar nach der Befreiung Schleswig-Holsteins durch die britische Armee keimte in Südschleswig die Hoffnung auf, dass politisch nun eine Widervereinigung mit Dänemark durchgeführt wurde. Und es waren bei Weitem nicht nur die alteingesessenen Mitglieder der Minderheit, die von einer Zugehörigkeit zu Dänemark träumten. Auch ein Großteil der örtlichen deutschen Bevölkerung, häufig mit sowohl deutschen als auch dänischen Wurzeln, hatte im Laufe der Kriegsjahre von Deutschland genug bekommen und die Entscheidung von 1920 bereut.
Sie waren es, die als erste im Mai 1945 Dänemark um eine Wiedervereinigung baten. Aber das Königreich lehnte dies sehr schnell ab – wohl nicht zuletzt aus Furcht vor einer großen deutschen Minderheit im Land. Dies stoppte aber nicht den großen Zulauf zur Dänische Minderheit in den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Für manche, von der deutschen Seite als „Speckdänen“ gebrandmarkt, spielte es eine Rolle, dass die dänischen Vereine inmitten der Not der Nachkriegszeit materielle Hilfe aus Dänemark zu verteilen hatte. Andere wurden von der Tatsache getrieben, dass Südschleswig schon vor Kriegsende neue Heimat von Hunderttausenden Flüchtlingen geworden war. Die Einheimischen fühlten sich verdrängt, was sich auch in einer stark ausgrenzenden Rhetorik Bahn brach.
Dieser enorme Zuspruch für die Minderheit legte sich wieder in den 1950ern, als die Situation der Bevölkerung in Deutschland sich wieder normalisierte und das Wirtschaftswunder die Vergangenheit vergessen ließ. Aber zurück blieb eine gestärkte Minderheit mit deutlich mehr Mitgliedern als zuvor, die sich weiter organisiert hatte und zahlreiche Schulen, eine politische Partei (den SSW) und vieles mehr gegründet hatte. Dies führte bis in die 1950er Jahre zu Spannungen zwischen Deutschen und Dänen vor Ort.
Auf politischer Ebene standen die Zeichen aber auf Entspannung, als Dänemark und Deutschland 1955 gegenseitig die ”Bonn-Kopenhagener-Erklärungen” abgaben, in denen der dänischen Minderheit in Südschleswig und der deutschen Minderheit in Nordschleswig Rechte zugesichert wurden. Unter anderem wurde vereinbart, dass die Abschlüsse der Minderheitenschulen gegenseitig anerkennt werden, und dass der SSW von der 5 %-Hürde befreit ist.
Damit war das Fundament für eine langsame Normalisierung der Verhältnisse im Grenzland gelegt. Minderheiten und Mehrheiten lebten zunehmend friedlich Seite an Seite, obwohl insbesondere in der älteren Bevölkerung weiterhin massive Gefühle im Spiel waren, und man sich weiterhin in Abgrenzung zum Anderen definierte: Deutsch und Dänisch galten als Gegensätze.
Moderne Minderheitenpolitik
In den 1970er und 80er Jahren übernahm die deutsche Gesellschaft (an die auch die Angehörigen der Minderheit ihre Steuern bezahlen) in höherem Maße eine Mitverantwortung für die Finanzierung der dänischen Einrichtungen. In den Achtzigern erreichte die Minderheitenpartei SSW, dass das Land Schleswig-Holstein für ein Kind an einer dänischen Schule dasselbe bezahlt, wie für ein Kind an einer vergleichbaren öffentlichen Schule. Seitdem ist die Gleichstellung in mehreren Bereichen fortgeschritten, obwohl es auf kommunaler Ebene noch sehr unterschiedlich ist, ob dänische Kulturangebote, Schulgesundheitspflege und viele andere Angebote Zuschüsse erhalten oder nicht.
Seit den 1990ern hat die Minderheit einen Auftrieb erlebt, der nicht zuletzt auch in den Wahlergebnissen zum Ausdruck kommt. Deutschland und Dänemark sind zwei internationalen Konventionen beigetreten – der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten und der Europäischen Sprachencharta – die jeweils den Fokus auf konkrete Minderheitenrechte legen. Dies hat den Fokus auf politische Verbesserungen geschärft und dazu beigetragen, dass die Minderheiten in steigendem Maße als Bereicherung und Ressource für die Gesellschaft angesehen werden. Die Zusammenarbeit von Mehrheit und Minderheit ist in unterschiedlichen Foren verstärkt worden. Gleichzeitig hat der SSW in dieser Periode Auftrieb gehabt. War er jahrzehntelang nur mit einem Abgeordneten im Landtag vertreten, erlangte er durch gute Wahlergebnisse zeitweilig bis zu vier Sitze im Parlament. Im Zeitraum 2012 bis 2017 war er gar erstmals Teil einer Landesregierung.
Das Verhältnis zwischen deutsch und dänisch hat sich entspannt, weil der konfrontative Kurs älterer Generationen allmählich ausstirbt. Die junge Generation in der Minderheit sieht sich heute als ein Produkt beider Kulturen. Und heute wird die Minderheit in vielerlei Hinsicht von der deutschen Mehrheitsbevölkerung als Mehrwert gesehen. Gemeinsam mit der friesischen Volksgruppe an der schleswig-holsteinischen Westküste verleiht diese Vielfalt der Region ihr unverkennbares Gesicht.